#06 Menschenwürde

Seit 2019 befassen wir uns im stimm_kollektiv mit dem Thema Menschenwürde.

Welche Bedeutung hat sie für uns und wie stellt sie sich in verschiedenen Kontexten dar?

Wir streifen durch die Literatur, schreiben eigene Texte und proben zu verschiedenen inhaltlichen Schwerpunkten,

z. B. zu Menschenwürde und Europa, zu Menschenwürde und Philosophie sowie zu Menschenwürde und Armut.

 

Du findest auf dieser Seite unsere Ergebnisse:

  1. die Essenz aus unserer Europaimprovisation und der Menschenrechtscharta
  2. Texte aus der Schreibwerkstatt zu Würde, Gehirn und Individuum
  3. eine Soundcollage aus eigenen und fremden Textausschnitten zu Menschenwürde

1. "Europa bedeutet für mich..." - Europa und die Charta der Menschenrechte, Dezember 2020 bis Juni 2021

 

„Wer darf hier eigentlich mitspielen? Und wer fliegt raus? Und wohin fliegt er dann?“

„Und im Moment bedeutet Europa für mich ganz viel Scham, wenn ich erlebe, wie wir die Menschen einfach ertrinken lassen; Menschen, die Hilfe suchen; Menschen, die einfach nur leben wollen.“

„Ich hab dann...interessant, ich hab irgendwie die ganze zeit das Wort ‚Luxus‘ im Kopf gehabt...zu diesen Verhandlungen auch was, also, wer kämpft da eigentlich um was, also wer hätte da gerne was, so...“

 

Basierend auf diesen Aussagen aus einer Improvisation schreiben wir assoziativ Texte im Dezember 2020.

Wie stehen diese Texte in Verbindung mit der europäischen Menschenrechtscharta?

Hör es Dir an:

 

Verteilen erwünscht!



2. Kreatives Schreiben zum Thema Würde, Gehirn und Individuum im Dezember 2020

 

Katja

 

Dialog 

 

P1: Kannst Du Dir vorstellen, dich zu verändern?  

P2: Wie verändern? 

P1: Na ja, verändern. Deine Art, wie Du lebst, Dein Denken, Deine Art, wie Du sprichst? 

P2: Habe ich noch nicht drüber nachgedacht.  

P1: Und? Kannst Du Dir das vorstellen? 

P2: Weiß nicht. Mir geht’s doch gut. Wozu sollte ich das machen? 

P1: Geht’s Dir wirklich gut? 

P2: Ja klar. Ich hab einen guten Job, eine tolle Wohnung. 

P1: Ist Dein Job gut? 

P2: Was willst Du von mir? Klar ist mein Job gut. Ich verdiene so ein Schweinegeld. Weißt Du, wieviel Urlaubsreisen ich mir schon gegönnt habe? Ich habe mir die halbe Welt angeschaut. Australien, Neuseeland, Amerika. 

P1: Wuppertal, Dortmund, Dresden, Nürnberg? 

P2: Ach komm. Was soll ich denn in Dresden? Nach Nürnberg fahre ich nächstes Jahr zum Weihnachtsmarkt. Den echten Christkindel Glühwein trinken. 

P1: Okay. Und was ist mit den Menschen in Deiner Nähe? In Deiner Umgebung? 

P2: Die Kollegen sind nett, ja. Wir gehen auch zusammen ein Bier oder einen Wein trinken. Und meine Familie besuche ich auch regelmäßig, macht man halt so. 

P1: Arbeitest Du gerne in dem Job? 

P2: Ey, für das Geld – auf jeden Fall. Das ist voll super. Ich mache mir ein tolles Leben. 

P1: Und was ist mit Deiner Seele?  

P2: Meine Seele? 

P1: Ja, Deine Seele. 

P2: Der geht’s gut. Die baumelt. 

P1: Und von was ernährt sie sich?  

P2: Ach, jetzt hör schon auf. Wie soll sich die Seele denn ernähren? Der Magen muss gefüllt sein, dann läuft alles wie von selbst. 

P1: Was ist denn mit Deinen Zielen von früher? Wolltest Du nicht was handwerkliches machen, statt in irgendeinem Büro zu sitzen und Zahlen auszuwerten? Etwas erschaffen? Etwas, womit Du den Menschen eine  Freude machst und wofür Du wertgeschätzt wirst? 

P2: Was ist denn heute los mit Dir? Jetzt frag ich dich mal was: Geht’s Dir gut? Was soll dieses Frage -und Antwort-Spiel? Bin ich hier beim FBI? Für was werde ich hier angeklagt? 

P1:  Ich klage Dich nicht an, ich bin nur neugierig und interessiert an Dir und Deinem Leben. 

P2: Das klingt aber in meinen Ohren ganz anders. Mir geht’s gut. Ich verdiene ehrliches Geld und ich habe keine Lust mehr auf Deine Fragen. Ich gehe jetzt.  

 

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Anke 

 

Mein Gehirn sucht 

 

Manchmal den leichten Weg 

Orientation und Anpassung 

Wissen, Wissen, Wissen 

Und noch mehr Wissen sammeln 

Oder gar nicht mehr so genau wissen wollen? 

Und doch erinnert es sich daran, 

Dass es ums Erleben geht 

Spüren, Lieben, Freuen, Erfahren... 

Immer suche ich den Weg 

Zurück zu meiner Lebendigkeit 

Doch der Dschungel verwuchert die Wege der Erkenntnis 

Nur allzu schnell wieder 

Manchmal muss erst alles einstürzen 

Und manchmal hilft ein Wunder 

Damit ich mein wahres Ich erinnere. 

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Aloisia 

 

Würde 

 

Bei dem Thema „Würde“ fiel mir sofort mein Vater ein. Ein ruhiger Mann mit Vernunft, Herz, Gottvertrauen und Integrität. Ich denke an Episoden aus seinem Leben, in denen er das immer wieder bewies. Zum Beispiel, als er mit den Worten: “Du schlägst ihn nie wieder!“ seiner Mutter einen Stock aus er Hand riss, als sie seinen jüngeren Bruder, wie das früher üblich war, bestrafen wollte. Oder sein Festhalten an seinem Glauben in der Nazizeit, was nicht ungefährlich war. 

Später gründete er mit einem seiner Brüder den Fußballverein des Dorfes, der bis heute besteht. Nachdem er lange Jahre Vorsitzender war, holte man ihn immer wieder bei Streitereien als Schlichter dazu, als er schon längst nur noch Ehrenvorsitzender war, also gar kein Amt mehr besetzte. Man wusste, dass mein Vater nicht parteilich war und sachlich und diplomatisch nach der besten Lösung für alle suchte. 

Auch in seinem Berufsleben gab es Momente, in denen er zeigte, dass er nicht bereit war sich auf Druck von außen und oben verbiegen zu lassen, auch auf die Gefahr hin beruflich herab gestuft zu werden. 

Natürlich konnte er sich auch schon mal aufregen bei Themen, die ihm am Herzen lagen, aber in Momenten, in denen es um Entscheidungen ging, blieb er ruhig um der Sache zu dienen. Aufgrund seiner freundlichen Zurückhaltung, wurde er von Menschen, die ihn nicht kannten manchmal unterschätzt, was sich schnell änderte, wenn sie ihn nicht mit Achtung behandelten. 

Als Familienvater war es für ihn selbstverständlich im Haushalt zu helfen, soweit er das neben seinem Beruf und der Gartenarbeit hinbekam. Dass ein Aufsatz eines meiner Geschwister, in dem der Satz:“ Und dann machte Vater das Abendbrot“ vorkam, belächelt wurde, störte ihn nicht ein bisschen. Meine Eltern unterstützen sich gegenseitig, wo immer es nötig war. Und dass meine Mutter eine Musikerin war und im Umgang eher unkonventionell, hat ihn eigentlich immer nur stolz gemacht.  

Im Alter erblindete er innerhalb einiger weniger Jahre und trotzdem war ihm wichtig, möglichst lange selbständig zu sein, was er am liebsten beim Kochen bewies. Aber selbst als er dann doch mehr Hilfe benötigte, bekam er sie mit einer großen Achtung und Respekt vor seiner Person. 

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Daniel 

 

Gehirn 

 

Immer aufgeregter folgt er den hellen Bildern 

Sie fühlen sich neu an 

Und verschmelzen mit den Fasern des Gehirns 

So ist es wichtig und so muss es sein 

Die Stimmen führen mich auf dem leuchtenden Weg 

Das Navi scheint nach Süden eingestellt zu sein 

Der Innere Kompass schlägt aus  

In einer Ahnung von unserer Würde 

 

 


3. Entwurf, Audio Performance, Arbeit im Prozess 2019/2020

 

 

"...wenige Menschen, mehr Kühe, viele Gräber... diese Frau, die fast nichts hat, will uns zum Essen einladen... ein Feuer... Du sollst Deine Natur bestimmen... warum zittere ich? Wertvolles Miteinander... nicht schwächeln... Wertschätzung...  seien Sie ruhig und heiter - trotz alledem. Ich wache auf!"

 

Eine Auswahl der Texte wird im Februar 2020 im neuen Sprecherraum aufgenommen und zur Audiocollage verarbeitet. Wir freuen uns, Euch die Collage ab April 2020 über unsere Webseite vorzustellen!

 

Sprecher_innen: Ensemble des stimm_kollektiv

Texte: Ensemble des stimm_kollektiv, sowie gemeinfreie Texte von Rosa Luxemburg und Mirandola

Regie: kollektiv

Tontechnik: Vicky und Katja